Von außen sieht es nach Nächstenliebe aus. Doch was, wenn das Helfen selbst zur Last wird? Menschen mit einem sogenannten Helfersyndrom stellen die Bedürfnisse anderer konsequent über ihre eigenen. Oft bis zur völligen Erschöpfung. Doch was steckt wirklich hinter diesem Verhalten? Ist es Altruismus – oder eher ein psychologischer Mechanismus zur Selbstbestätigung?
In diesem Artikel erfährst du, was das Helfersyndrom ausmacht, wie es entsteht, welche psychologischen Dynamiken es antreiben – und wie man gesund helfen kann, ohne sich selbst zu verlieren.
Was ist das Helfersyndrom?
Der Begriff Helfersyndrom wurde in den 1970er Jahren von dem deutschen Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer geprägt. Er beschreibt damit Menschen, die sich übermäßig für andere aufopfern und dabei ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen – oft mit der Hoffnung, durch das Helfen Anerkennung, Liebe oder Kontrolle zu erhalten.
"Der Helfer braucht den Hilflosen – um sich selbst zu spüren."
– Wolfgang Schmidbauer, Helferkrankheit, 1977
Psychologische Hintergründe: Warum helfen wir (zu viel)?
Helfen ist per se nichts Negatives – im Gegenteil, es stärkt Gemeinschaft und Mitgefühl. Doch wenn das Bedürfnis zu helfen zwanghaft wird, können sich dahinter tiefere psychologische Prozesse verbergen.
1. Selbstwertregulation durch Hilfe
Viele Menschen mit einem Helfersyndrom leiden unter einem instabilen Selbstwertgefühl. Das Helfen wird dann zur Strategie, sich selbst als wertvoll zu erleben. Psychologin Kristin Neff spricht in diesem Zusammenhang von externalisierter Selbstwertregulation – man fühlt sich nur dann gut, wenn man von außen Bestätigung bekommt.
Quelle: Neff, K. (2003). Self-compassion: An alternative conceptualization of a healthy attitude toward oneself. Self and Identity, 2(2), 85–101.
2. Frühe Bindungserfahrungen
Bindungstheorien zeigen: Wer als Kind Liebe nur dann erfahren hat, wenn er „brav“ war oder sich um andere kümmerte, übernimmt dieses Muster oft ins Erwachsenenleben. Das eigene Dasein wird dann an Leistung und Aufopferung geknüpft.
Quelle: Bowlby, J. (1988). A Secure Base: Parent-Child Attachment and Healthy Human Development.
3. Vermeidung von Konflikten
Helfende Menschen vermeiden häufig Konfrontation. Sie opfern sich auf, um Harmonie zu wahren – und zahlen dafür einen hohen Preis: emotionale Erschöpfung, Burnout, und manchmal sogar Depressionen.
Quelle: Maslach, C., & Leiter, M. P. (1997). The truth about burnout: How organizations cause personal stress and what to do about it.
Die Kehrseite des Helfens: Wenn das Geben krank macht
Menschen mit einem Helfersyndrom laufen Gefahr, in eine gefährliche Spirale zu geraten:
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Sie helfen, um sich gut zu fühlen.
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Ihre Hilfe wird erwartet – sie können nicht mehr „Nein“ sagen.
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Sie vernachlässigen ihre eigenen Bedürfnisse.
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Sie fühlen sich überfordert und werden zunehmend ausgebrannt.
Studien zeigen, dass übermäßiges Helfen mit erhöhtem Risiko für Burnout, Depressionen und chronischen Stress verbunden ist – vor allem bei Pflegekräften, sozialen Berufen oder Menschen in abhängigen Beziehungen.
Quelle: Bakker, A. B., & Demerouti, E. (2007). The Job Demands‐Resources model: State of the art. Journal of Managerial Psychology.
Wie erkennt man ein Helfersyndrom?
Typische Anzeichen:
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Du fühlst dich schuldig, wenn du nicht hilfst.
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Du ignorierst deine eigenen Grenzen.
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Du erwartest (unausgesprochen) Dank oder Liebe für deine Hilfe.
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Du fühlst dich wertlos, wenn du „nichts tust“.
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Du ziehst oft Menschen an, die dich ausnutzen.
Was tun? Gesund helfen lernen
Der Weg aus dem Helfersyndrom beginnt mit Selbstreflexion – und oft auch mit professioneller Hilfe. Hier einige Schritte:
1. Selbstfürsorge üben
Lerne, dich selbst genauso ernst zu nehmen wie andere. Selbstfürsorge ist keine Schwäche, sondern die Basis für echte Empathie.
2. Grenzen setzen
„Nein“ ist ein vollständiger Satz. Es ist keine Ablehnung der anderen – sondern ein Ja zu dir selbst.
3. Unerfüllte Bedürfnisse erkennen
Was fehlt dir wirklich? Anerkennung? Sicherheit? Liebe? Wenn du weißt, was du suchst, musst du es nicht mehr über Umwege kompensieren.
4. Hilfe annehmen lernen
Wer immer nur gibt, bleibt oft leer. Auch du hast das Recht, schwach zu sein, Fehler zu machen – und Unterstützung zu bekommen.
Resümé: Vom krankhaften Helfen zur echten Mitmenschlichkeit
Helfen ist wertvoll. Doch nur, wenn es freiwillig, grenzenbewusst und nicht zur Selbstaufgabe geschieht. Das Helfersyndrom ist kein Zeichen von „zu viel Herz“ – sondern oft ein stiller Schrei nach Liebe, Sicherheit und Identität.
Indem wir lernen, auch uns selbst zu helfen, befreien wir das Helfen von seiner Schwere – und machen es zu dem, was es wirklich sein kann: ein Akt wahrer Menschlichkeit.
Quellenverzeichnis:
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Schmidbauer, W. (1977). Helferkrankheit.
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Neff, K. D. (2003). Self-compassion. Self and Identity, 2(2), 85–101.
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Bowlby, J. (1988). A Secure Base.
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Maslach, C., & Leiter, M. P. (1997). The truth about burnout.
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Bakker, A. B., & Demerouti, E. (2007). The Job Demands‐Resources model.

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